Der Höhenflug der AfD lässt die Union offenbar kalt. Fatal, denn sie schreibt zehn Prozent der Wähler ab, die nichts weiter wollen, als respektiert zu werden.
Doppelgarage ist okay. Sagt es den Leuten.
Die Umfragewerte der AfD steigen seit Monaten und liegen nahe 20 Prozent – mehr als je zuvor. Das ist auf den ersten Blick äußerst erstaunlich: Entgegen der leicht phrasenhaften Gewissheit, wonach Wahlen in der Mitte gewonnen werden, wird die Partei offenbar dafür belohnt, dass sie in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach weit rechts außen marschiert ist. Aus der vulgärnationalen Neugründung unter Lucke, später Petry und Meuthen, ist heute eine Randgruppe geworden, in der Höcke kein geduldeter Exot mehr ist. Die Wähler, so scheint es, stört es nicht. Ebenso wenig scheint sie zu stören – und das macht den Erfolg noch weitaus verblüffender – dass die Partei eigentlich nichts von dem hat, was man im politischen Konkurrenzkampf doch zu benötigen scheint: kein schlüssiges Programm, keine fundierten Antworten auf die drängenden Fragen der Saison und erst recht kein strahlendes Spitzenpersonal, das die Massen binden und begeistern könnte.
Für die Demokratie und für die deutschen Konservativen ist all das ein Desaster. Es gibt verlässlich schon seit Jahren eine Mehrheit rechts der Mitte, doch genauso lange schon ist diese Mehrheit vergiftet. Solange die AfD zweistellig ist, wird es keine Chance auf eine bürgerliche Regierung in Deutschland geben. Da die Partei als politischer Partner völlig indiskutabel ist – heute mehr noch als vor fünf Jahren – fallen ihre bis zu 20 Prozent Stimmenanteile faktisch in den Lokus. Mehrheiten gibt es auf absehbare Zeit nur noch für lagerübergreifende Konstellationen wie GroKo oder aktuell die Ampel. Der Demokratie tut das nicht gut. Zudem nährt es das Problem immer weiter: Die Stärke der AfD blockiert die Politik, und diese Blockade stärkt die AfD.

Schon heute sind in Ostdeutschland Koalitionen gängig, denen als Opposition nur noch Linkspartei und AfD gegenüber stehen. Das ist im Bund zwar kein wahrscheinliches, aber auch kein total irres Szenario – ein bestürzendes wäre es allerdings allemal.
Umso erstaunlicher ist es, dass die anderen Parteien den Aufstieg der verhassten AfD recht unbewegt geschehen lassen. Bei den linken Parteien mag man boshaft noch Kalkül dahinter vermuten: Die momentane Situation zwingt eine der beiden bürgerlichen Parteien dazu, Mehrheitsbeschaffer einer ansonsten rot, grün oder rotgrün geprägten Koalition zu sein. Diese komfortable Situation hatte die Union auch einmal, als die SPD noch verlässlich Sicherheitsabstand zur Linkspartei einhielt und deswegen eine linke Mehrheit vermint war. Doch seit der Gottseibeiuns Lafontaine nichts mehr zu sagen hat, ist man im Willy-Brandt-Haus ja entspannter und hat das komfortable rot-rot-grüne Drohpotanzial im Ärmel. Und freut sich vielleicht ja sogar über die Blockade im bürgerlichen Lager.
Aber auch dortselbst scheint man allenthalben ratlos, was man gegen den Höhenflug der Höckes tun soll. Statt einmal den Kampf an- und aufzunehmen, lässt man sich auf ein Blame Game ein, das am Ende niemand gewinnen wird: Wer ist schuld am Aufstieg der AfD? Die obsessive Suche nach Schuld ist ein grundsätzlich fragwürdiges Konzept. In der Politik ist es aber vollkommen verfehlt, denn dort interessieren nur Ideen für morgen, keine Vergangenheitsbewältigung. Von links wird unbeweisbar angeklagt, dass die Union die Themen und Thesen der AfD übernehme und sie damit salonfähig mache, wobei die Wähler danach aber lieber das Original wählen. Etwas näher liegt da schon die Gegenthese, wonach eine immer mittigere Union rechts ein Vakuum lasse, in das sich die AfD reinsauge. Das hat es unter Helmut Kohl schon mit den Republikanern gegeben, und zu einer anderen Zeit dürfte Schröders Agenda-Politik die Linke reanimiert haben.
Diese Interpretation hat also ein bisschen historische Empirie für sich – führt aber auch nur wenig weiter. Denn seit dem Sturz in die Opposition bemüht sich ein Teil der Union ja durchaus um ein etwas konservativeres Profil als unter Merkel (das allerdings ist wirklich nicht schwer). Dies mag sie auf 30 Prozent gehoben haben. Allerdings liegt sie damit locker zehn Punkte unter ihrem Potenzial – und das eigene Potenzial nicht auszuschöpfen ist ein vernichtendes Urteil über eine Oppositionspartei, die ja auf nichts weiter Rücksicht nehmen muss als auf ihre Wähler.

Die Wähler der AfD dürften sich in drei Gruppen einteilen lassen. Es gibt unter ihnen sicherlich echte Rechte, die Höcke gut finden und deren Mindset auch sonst ein Fall für den Verfassungsschutz wäre. Die sind für demokratische Parteien schlicht verloren. Sie würden ohne die AfD die NPD wählen oder sonstwas Gruseliges aus dem modrigen Kerker der Gedankengeschichte. Dann gibt es Protestwähler, die bestimmt auch schon mal die Linke gewählt haben, die Wagenknecht spitze finden und auch sonst erstmal gegen alles sind. An sie heranzukommen ist als selbsternannte Staatspartei CDU natürlich etwas tricky – geht aber, vor allem wenn man geschickt einen Kontrapunkt zum moralisch überhöhten und stets etwas übergriffigen Ampel-Weltbild setzen würde. Die dritte Gruppe sind schlicht dezidiert konservative Menschen, für die rechts etwas anderes ist als rechtsextrem und auf gar keinen Fall ein Schimpfwort. Die ein tradiertes Familienbild pflegen, Nation und Bundeswehr schon prima fanden, als die Grünen noch Gelöbnisse ausgepfiffen haben, und für die Atomkraft die Lösung ist und nicht das Problem.
Dass die Union an sie nicht rankommt, ist die aktuelle Tragik der Konservativen in Deutschland.
CDU und CSU bräuchten dringend eine Strategie, diese mutmaßlich zehn Prozent der Wähler an sich zu binden. Doch hier ist gähnende Leere. Vor allem in Ostdeutschland, wo das Problem noch größer ist als im Westen, gibt es einige zaghafte Versuche. Aber die sind fast schon rührend und adressieren die falschen Fragen. Hier arbeitet man sich ab an den Rundfunkgebühren und dem Gendern. Ja, die linksgrüne Mentalhegemonie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (oder eher: die gedankliche Monokultur dort) nervt bastante. Aber das hängt doch nicht an einem Euro oder zwei, die vielleicht irgendwann mal auf den Rundfunkbeitrag draufgeschlagen werden müsste, um allein die Inflation auszugleichen. Und Binnen-I und Glottisschlag sind zwar ähnlich lästig wie ein Mückenstich am Fuß, aber am Ende auch nicht viel bedeutsamer. Die reflexhafte Bearbeitung dieser Themen belegt die Ratlosigkeit der Konservativen mehr, als dass sie ihr entgegenwirkt.
Am Ende hat die AfD doch auch keine Argumente, auf die die Leute abfahren. Dort weiß man ja nicht mal ganz genau, ob Russland nun Feind ist oder nicht. Ob Schwulsein okay ist oder doch ein bisschen fies. Oder ob es denn den Klimawandel gibt, ob er vom Menschen gemacht wird, ob er schlecht ist oder nur so halb und ob man überhaupt irgendetwas dagegen tun soll. Intellektuell ist das doch alles Brachland. Aber die AfD weiß genau, dass Dieselmotoren und Elektroheizungen spitze sind. Dass Schweinefleisch Kulturgut ist. Dass Italien als Urlaubsland dufte ist, aber ansonsten bestimmt unser Geld verbrennt („hart erarbeitetes“, versteht sich). Dass die D-Mark glänzte wie Franz Beckenbauer war der Euro maximal so ist wie Gündogan. Auf jeden Fall war früher alles besser, und die Zukunft wird düster. Zumindest wenn der Harbeck und die Baerbock das Land weiter runterwirtschaften.
Das alles zielt auf den Bauch und nicht auf das Gehirn. Und dort werden – und zwar nicht nur bei den Rechtsaußen – noch immer die meisten Entscheidungen getroffen.
Die meisten AfD-Wähler dürfte ein Gefühl der subtilen Abwertung einen. Sie leben ein rechtschaffenes Leben mit Handlungen und Überzeugungen, die nie ein Problem waren. Dieses Handeln hat sie leidlich erfolgreich gemacht und hat sie bislang in der Mitte der Gesellschaft verankert: ein solider Job, fleißig erledigt, Ehe, Kinder, Eigenheim. Grillen, Urlaubsflug und Doppelgarage. Und dann kommt so ein Zeitgeist daher und sagt: Das ist alles moralisch fragwürdig. Zumindest aber muss das alles neu verhandelt werden. Und es kommt die Botschaft an: Ihr gehört irgendwie nicht mehr dazu. Ihr seid nicht okay.
Linksurbane Weltbilder, die sich so viel einbilden auf ihren inklusiven und respektvollen Approach gegenüber jeder benachteiligten Gruppe, haben in beachtlicher Geschwindigkeit und mit beängstigendem Erfolg neue Trennlinien gezogen und weite Teile der bis dahin stilprägenden gesellschaftlichen Mitte mental abgehängt und ausgegrenzt. Vor Fleischkonsum wird gewarnt. Verbrennungsmotoren sind gestrige Stinker. Flugreisen erzeugen Scham. Und wer das Geschlecht zwischen den Beinen verortet, ist ein Hinterwäldler, der bestimmt auch noch ein Wählscheibentelefon benutzt.
Dies verletzt Menschen. Und derart verletzte Menschen wenden sich dorthin, wo sie sich akzeptiert fühlen. Wo ihnen gesagt wird, dass sie okay sind. Damit ist Trump Präsident geworden, und es macht etwas fassungslos, dass das in Deutschland nicht gesehen oder jedenfalls nicht bearbeitet wird. Diese Menschen wollen mentale Sicherheit. So seltsam das klingt: Die AfD ist ihr Safe Space.
Sahra Wagenknecht sieht das und zielt auf dieses Potenzial, dem sie ein Angebot von schräg-links macht, nicht ohne auf dem schmalen Grat zum Rechtspopulismus ins Taumeln zu geraten.
Viele in der Union scheinen sich hierfür zu fein. Sie zielen auf urbane Wählerschichten, geben sich modern-divers, schmiegen sich an den Zeitgeist, wollen anschlussfähig sein für Schwarz-Grün. Ganz unverständlich ist das nicht. Jeder ist doch lieber modern, als aus der Zeit gefallen. Die Argumente für E-Autos und eine Wärmewende sind ja durchaus wertig. Toleranz gegenüber Minderheiten fühlt sich gut an, und eine weltoffene Migrationspolitik ist ebenso klug wie warmherzig. Deswegen gibt es Daniel Günther in der CDU und Serap Güler. Aber das ist doch nicht das Spektrum einer Volkspartei, die hoffentlich das 40-Prozent-Ziel noch nicht aufgegeben hat. Außerdem kann man diese Position alle vertreten, ohne die, die anders denken und fühlen, herunterzumachen. Man kann Wärmepumpen fördern wollen, ohne Gasheizungsbesitzer wie Idioten zu behandeln. Sagt den Leuten, dass eine Ehe mit zwei Kindern selbst dann okay ist, wenn die Mutter ein paar Jahre zu Hause bleibt. Man kann ja darauf hinweisen, dass auch der Vater mal fürs Kind frei nimmt, aber nagelt die beiden doch bitte nicht ans Kreuz, wenn sie es doch nicht tun.
Es ist mehr der Sound als der Inhalt: Der Union gelingt es nicht, einen Ton anzuschlagen, der bei denen verfängt, die mit einem mainstreamigen Zeitgeist fremdeln. Da ist auch niemand, der diesen Sound glaubwürdig anstimmen könnte. Markus Söder könnte das noch am ehesten gelingen, aber die Union hatte ja schon 2021 nicht den Mut, ihn auf den Schild zu heben. Derzeit versucht er sich in Bayern ein bisschen daran, diesen Sound zu treffen – interessanterweise in einem Duett-Duell mit Hubert Aiwanger, der das schon seit Jahren praktiziert. Ja, in weiten Teilen krakeelen beide populistisch und nicht immer frei von billigen Effekten. Aber die AfD halten sie damit bislang stabil auf Abstand.